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taktische_Atomwaffen

Schindluder mit "Sicherheit"

 

Redebeitrag zum Hiroshimatag
am Gefechtsübungszentrum

Heute sind wir mitten in den Erinnerungstagen von Hiroshima und Nagasaki; und wir sind in Born. Wie an kaum einem anderen Datum sind hier zwei Themen ganz besonders eng miteinander verknüpft.

Ich habe gesehen, dass ihr übermorgen ein Gedenken zum Jahrestag der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki veranstaltet, deswegen gehe ich hier nicht so darauf ein, wie es eigentlich angemessen wäre, sondern wende mich gleich dem zu, was uns heute herausfordert. Auf dem Rundbrief steht auf der Rückseite „Redet!“ - ein Plädoyer gegen die militärische Logik und ein Aufruf, andere Lösungen zu suchen. Das finde ich gut, richtig gut.

Worüber ich sprechen möchte, das ist, was es bedeutet, wenn heute von einer „neuen Sicherheitsarchitektur“ gesprochen wird. Sicherheit - ein Wort, mit dem in diesem Zusammenhang ziemlich Schindluder getrieben wird. Es ist wohl ein menschlich tief verwurzelter Wunsch, das Lebensumfeld als verlässlich ansehen zu dürfen. Auch wenn die Erfahrung immer wieder lehrt, dass es „Sicherheit“ als unverrückbare Größe nicht gibt, bleibt es ein nachvollziehbares und sicherlich auch berechtigtes Bestreben, den gewohnten Gang der Dinge vor hereinbrechenden Veränderungen bewahren zu wollen.

Aber wenn die Zeitenwende-Politikerinnen und -politiker von Sicherheitsarchitektur sprechen, dann meinen sie damit etwas anderes. Dann meinen sie damit Aufrüstung in einem unglaublichen Maß. Das ist das, was wir zur Zeit erleben. Dann meinen sie damit auch eine Anhäufung an atomarem Bedrohungspotential, aus der ihrer Behauptung entsprechend Sicherheit erwachsen soll.

Das Flugblatt zu heute, das ich auf der Internetseite der Offenen Heide gefunden habe, liefert mir das passende Stichwort:

„Es ist davon auszugehen, dass die Sowjetarmee bei Born auch Atomwaffen stationiert hatte.“

heißt es da. Dazu wollte ich gerne mehr wissen und habe ein bisschen rumgesucht. Beim MDR bin ich dabei auf eine kurze Fernsehsequenz gestoßen, in der Aufnahmen gezeigt werden von einem großangelegten Manöver der Roten Armee im Mai 1978, bei dem hier auf dem Truppenübungsplatz der Einsatz von Atomwaffen geübt wurde. Es handelte sich dabei dem Bericht nach um sogenannte „taktische“ Atomwaffen, also um Geschützmunition, die von Panzern und Haubitzen und wie all diese Geräte heißen, verschossen werden können und auf einem Schlachtfeld ihre Zerstörungswirkung aus einer Explosion radioaktiver Stoffe beziehen.

Neben diesen taktischen gibt es die sogenannten „strategischen“ Atomwaffen. So ganz trennscharf lassen sich da die Trennlinien nicht ziehen, was nun taktisch und was strategisch genau bedeutet. Aber im Groben werden mit der zweiten Kategorie Raketen bezeichnet, die entweder fest am Boden, auf U-Booten oder auf fliegenden Festungen installiert sind, und die unabhängig von irgendeinem konkreten Kriegsgeschehen in ihren einprogrammierten Zielkoordinaten auf Städte oder Einrichtungen potentieller Gegner gerichtet sind. Die quasi darauf warten, dass jemand auf den roten Knopf drückt. Oder die automatisch und mit unglaublich kurzer Vorwarnzeit darauf reagieren, wenn die andere Seite auf den Roten Knopf gedrückt hat.

Von diesen „Strategischen“ hatten wir in der alten BRD etwa fünftausend; ich mag gar nicht daran denken, wie dichte bei ich damals in der Nähe von so einem Raketensilo gelebt habe. Wieviele Sprengköpfe es in der DDR waren, dazu habe ich keine Zahl, aber es gibt Listen, in denen insgesamt 18 Standorte genannt werden, an denen welche stationiert waren. In diesen Aufstellungen kommt die Colbitz-Letzlinger Heide nicht vor. Dort werden als von hier aus die nächsten Alten-Grabow, Wittstock und Stolzenhain genannt. Wie das jetzt mit Born ist oder war, konnte ich nicht rausfinden. Möglicherweise weiß von euch jemand mehr dazu, dann können wir uns nachher gerne weiter dazu austauschen.

Für heute ist das allerdings nicht ganz so entscheidend. Ich will das jetzt nicht allzu schönreden, aber es gab ja immerhin die Jahrzehnte der Diplomatie und der Abrüstung. Mit dem Erfolg, dass diese Installationen des Kalten Kriegs abgezogen und unter internationaler Kontrolle verschrottet wurden. Von den schier unüberschaubar vielen Standorten ist in Deutschland einer, nämlich Büchel, übriggeblieben. Womit das Problem allerdings keineswegs aus der Welt geschafft, sondern lediglich etwas im Umfang verringert wurde. In den letzten Jahren hat sich das wieder umgedreht; aus dem Prozess der Abrüstung ist eine Modernisierung der Arsenale geworden, die unter allen Beteiligten vorangetrieben worden ist. Das Potential für einen zigfachen overkill steht nach wie vor bereit.

Es besteht das Risiko des globalen nuklearen Schlagabtauschs der strategischen Systeme. Daneben gibt es seit Jahren das ständige Zündeln mit den taktischen Waffen, das auf der Illusion gründet, ein Atomkrieg ließe sich begrenzen, weil diese Dinger ja so klein sind. Und die aktuelle Situation in der Ukraine führt uns vor Augen, dass es noch eine dritte Ebene der Atomkriegsgefahr gibt. Damit meine ich die besonderen Gefahren, die von Atomkraftwerken ausgehen. Die sind zwar vielleicht nicht zu militärischen Zwecken errichtet worden, sondern zur Stromerzeugung. Wir erleben zur Zeit aber, dass sie in einer Kriegssituation durch ihre pure Existenz zur Waffe werden.

Saporischija

Saporischija ist zum Synonym dafür geworden. Saporischija selbst, also die ukrainische Partnerstadt von Magdeburg, liegt etwas mehr als 50 Kilometer vom gleichnamigen Atomkraftwerk entfernt. Das Städtchen Enerhodar, wo das AKW liegt, wurde bereits im März von russischen Truppen besetzt und ist seitdem unter der militärischen Kontrolle der russischen Armee. Mit seiner Lage am Südufer des Dnipro (früher war uns die russische Bzeichnung Dnjepr geläufiger) befindet es sich ganz exponiert an der vordersten Frontlinie.

Die Stadt Nikopol gegenüber am Nordufer ist Ziel von russischen Angriffen. Dort liegen Einheiten der ukrainischen Armee, die Pläne für eine Rückeroberung verfolgen. Mitten in diesem hochbrisanten Geschehen Europas größte Atomanlage mit sechs Reaktorblöcken, von denen jeder für sich schon auch in den Zeiten vor dem Krieg eine Gefahr darstellte. Netzschwankungen, Kühlprobleme, technische Pannen, Materialermüdung, Fehlbedienung, menschliche Unzulänglichkeiten: die Summe daraus ist ja im jedem Atomkraftwerk der Welt ein Problem. Wenn obendrein militärische Belange eine Rolle spielen, werden die nicht geringer.

In ihrem Dossier zum Zustand der ukrainischen Atomanlagen berichtet die Gesellschaft für Reaktorsicherheit Köln davon, dass die russische Militärführung misstrauisch die riesige Anlage danach absucht, wo ukrainische Soldaten vor der Preisgabe des Geländes etwas deponiert haben könnten, und aus diesem Grund Kühlwasserbecken, die eigentlich für den Betrieb notwendig sind, trockenlegen will. Die ukrainische Führung dagegen klagt, die russische Seite nutze Gebäude in dem Komplex quasi als Schutzschild für ein Munitionsdepot; es sei unfair, dass sie das so nicht einfach beschießen könne, wie sie das gern würde. Ungeklärt sind zwei Vorfälle von vor einigen Tagen. Gemeldet worden war ein Beschuss mit Artilleriefeuer; zum Einsatz gekommen ist auch eine bewaffnete Drohne. Menschen sind getötet worden, und eine ganze Reihe von Soldaten sind mit schweren Symptomen der Strahlenkrankheit ins Lazarett gebracht worden.

Bei der internationalen Atomenergieorganisation IAEO hat das in den letzten Tagen zu Reaktionen geführt. Deren Generaldirektor Rafael Grossi hat bei den Vereinten Nationen seine Besorgnis vorgetragen. Seit Wochen versuche die IAEA, Inspekteure zu der Anlage zu entsenden. Die Ukraine hat dies bisher abgelehnt, da ihrer Ansicht nach dadurch die Besetzung des Ortes durch Russland in den Augen der internationalen Gemeinschaft legitimiert werden würde. Es wird also weiterhin ein Pulverfass bleiben.

So. An dieser Stelle komme ich jetzt wieder zur Sicherheit zurück. Diese selbstmörderische Konstellation, die ich gerade beschrieben habe, hat in der internationalen Politik jahrelang den Titel „Gleichgewicht des Schreckens“ getragen. Mit einiger Vernunft müssen wir sagen: Am „Gleichgewicht des Schreckens“ ist nur eins real, nämlich das Zerstörungspotential, das diesen Schrecken hervorruft. Die Vorstellung, das wechselseitige Zufügen schrecklicher Dinge oder deren Androhung ließe sich in eine Art Balance bringen und dort dauerhaft halten, ist schon von der Idee her aberwitzig; in der Praxis ist sie durch jahrhundertelange Erfahrung widerlegt. Im Rundbrief wird ja zu Recht an den 30-jährigen Krieg erinnert.

Jetzt lassen sie sogar die Idee des Gleichgewichts fallen. Abschreckung heißt jetzt die Devise. Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist eine Politik des maßlosen Aufrüstens und damit eine Politik unfassbaren Drohens eingeleitet worden.

Zum Hiroshima-Jahrestag haben wir die aktuelle Ausgabe von unserer Zeitung fertiggemacht. Wir lassen euch gerne ein paar davon da. Ihr seht auf dem Titelblatt vor dem Hintergrund eines Atompilzes die Worte: „Sicherheit anders denken“. Als Aufforderung. Uns ist es ein Anliegen, damit aufzuzeigen, dass es – entgegen der veröffentlichten Mehrheitsmeinung – sehr wohl andere Optionen der politischen Reaktion auf das Kriegsgeschehen gibt als den Weg der derzeit eingeschlagenen Militarisierung und Eskalation. Geben muss, wenn wir die Mahnung der Hibakusha, also der Hinterbliebenen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, an die wir heute erinnern, ernst nehmen!

Eigentlich herrscht kein Mangel an gutem Rat. „Sicherheit neu denken“hat beispielsweise die badische Landeskirche eine Kampagne überschrieben, der sich eine ganze Reihe von friedenspolitischen Akteuren angeschlossen hat; „die Welt neu denken [zu ] lernen“ empfiehlt ein lesenswertes Buch über die Idee einer „planetaren Politik“. Bei den Vereinten Nationen ist das Verständnis von „Menschlicher Sicherheit“ seit vielen Jahren Richtschnur für eine anstrebenswerte Entwicklung hin zu einem guten Leben für alle. Im Heft finden sich weitere Beispiele. Gemeinsam ist zweierlei: zum einen die Überzeugung, dass so ziemlich alles andere besser ist als Wettrüsten.

Die zweite Gemeinsamkeit ist: Sie finden kein Gehör. Im Gegenteil. Statt sich der realen Probleme anzunehmen, also statt etwas zu unternehmen gegen Hunger, Armut, die rasante Veränderung des Klimas, den Verlust der Biodiversität, unternimmt die Politik größte Anstrengungen, um die Rüstungsspirale zu drehen.

Warum ist das nur so? Was uns höchst unvernünftig erscheinen muss, folgt der Logik eines kapitalistischen Wirtschaftssystems mit seinem innewohnenden Zwang zu ständiger Konkurrenz und Feindseligkeit. Diese Art der Vernunft wird offensichtlich als unveränderlich angesehen. Die Dichterin Ingeborg Bachmann hat dazu geschrieben:

„Über den Krieg jammern, das kann jeder. Was man jedoch nicht kann, ist einzusehen, dass der existierende Friede eine Art Krieg ist, ein eingefrorener Krieg – der im „heißen“ Krieg explodiert. Auch deshalb war der Krieg bisher unabwendbar.“

Damit mache ich hier mal Schluss. Ich danke fürs Zuhören.

Aktivitäten

Wir wollen sichtbar sein: mit Veranstaltungen in Räumen genauso wie unter freiem Himmel. Manchmal werden wir in dem Moment von vielen wahrgenommen, manchmal auch nur von einigen. Deswegen versuchen wir, hier zumindest einiges davon festzuhalten.
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Kriegslogik durchbrechen!

Veranstaltung am 3. März im Ostbahnhof Dannenberg
mit Kai Ehlers
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Am Jahrestag des Einmarschs russischer Truppen in die Ukraine

Mahnwache am 24. Februar in Lüchow
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Nein! zur Lieferung von Leopard-Panzern

Kundgebung am 19. Januar in Lüchow
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Aufrecht gegen Repression

Mahnwache am 14. Dezember vor der JVA Bützow
(Grußwort)

Tag der Menschenrechte
zum 10. Dezember 2022

Gemeinsame Korsofahrt zur Barriere Zienau
zur 350. Kundgebung an der Grenze zum GÜZ
6. November 2022 an der Barriere Zienau

Chor-Experiment
im Oktober 2022

dezentraler Aktionstag
am 19. November 2022

Antikriegstag
Demonstration und Kundgebung: 1. September 2022

Hiroshimatag
am Gefechtsübungszentrum Almark GÜZ

Ostermarsch 2022

Blockade bei Rheinmetall
Aktion am 18. März 2022

Nein! zu Krieg und Aufrüstung!
Kundgebung: 8. März 2022