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Atomkraftwerke als Waffe

Redebeitrag beim Antikriegstag

Hallo,

bevor wir jetzt gleich zum eigentlichen Hauptteil unserer Veranstaltung kommen, also zum Gedankenaustausch an den Gesprächsinseln, möchte ich gerne noch eine Sache ansprechen.

Vor vier Wochen waren wir wieder mal am GÜZ, also am Gefechtsübungszentrum, dem großen Truppenübungsplatz hier vor unserer Haustür in der Altmark. Die BI Offene Heide, die dort seit Jahren gegen das Militär auf dem Platz aktiv ist, hatte dort zum Hiroshima-Tag eine Veranstaltung an der Grenze des militärischen Sperrgebiets organisiert. Mich hatten sie gebeten, etwas zum atomaren Wettrüsten vorzutragen und insbesondere dazu, welche Rolle dem Standort in der Colbitz-Letzlinger Heide zukam bei dem Versuch, „Sicherheit“ herzustellen durch etwas, was den Namen „Gleichgewicht des Schreckens“ trägt. Bei meinen Recherchen dazu bin ich auf Bild- und Filmdokumente gestoßen, die das Hantieren mit taktischen Atomwaffen auf dem Platz zeigen; bei der Veranstaltung selbst kam dann zur Sprache, dass es belastbare Hinweise gibt, dass dort sehr wohl auch strategische Waffen installiert waren.

Vielleicht kurz zur Unterscheidung: als taktische Waffe wird Geschützmunition bezeichnet, also nukleare Sprengkörper, die in einem Gefecht mitgeführt werden können, oder die beispielsweise von Büchel aus mit dem Flugzeug in ihr Zielgebiet gebracht werden, um sie je nach Situation einsetzen zu können. Neben diesen taktischen gibt es die sogenannten „strategischen“ Atom-waffen. So ganz scharf lassen sich da die Trennlinien nicht ziehen, was nun taktisch und was strategisch genau bedeutet. Aber im Groben werden mit der zweiten Kategorie Raketen be-zeichnet, die entweder fest am Boden, auf U-Booten oder auf fliegenden Festungen installiert sind, und die unabhängig von irgendeinem konkreten Kriegsgeschehen in ihren einprogrammier-ten Zielkoordinaten auf Städte oder Einrichtungen potentieller Gegner gerichtet sind. Die quasi darauf warten, dass jemand auf den roten Knopf drückt. Oder die automatisch und mit unglaublich kurzer Vorwarnzeit darauf reagieren, wenn die andere Seite auf den Roten Knopf gedrückt hat. Oder jemand glaubt, dass die andere Seite auf den roten Knopf gedrückt hat.

Nach dem Abzug der Roten Armee vom GÜZ haben sich in hinterlassenen Silos Aufschriften in kyrillischer Schrift wie zum Beispiel „Stuttgart“, „Karlsruhe“ oder „Dortmund“ gefunden. Und in der Lüneburger Heide lassen sich die Standorte rekonstruieren, an denen Mittelstreckenraketen ostwärts gerichtet waren. 5000 davon waren es in der alten BRD, 7000 in der DDR. Die Realität, hier auf einem hochexplosiven Pulverfass zu sitzen, war mit Händen greifbar.

An dieser Stelle komme ich auf unsere Frage nach der Bedeutung des Worts Sicherheit zurück. Diese selbstmörderische Konstellation, die ich gerade skizziert habe, hat in der internationalen Politik jahrelang den Titel „Sicherheit durch ein Gleichgewicht des Schreckens“ getragen. Mit einiger Vernunft müssen wir sagen: Am „Gleichgewicht des Schreckens“ ist nur eins real, nämlich das Zerstörungspotential, das diesen Schrecken hervorruft. Die Vorstellung, das wechselseitige Zufügen schrecklicher Dinge oder deren Androhung ließe sich in eine Art Balance bringen und dort dauerhaft halten, ist schon von der Idee her aberwitzig; in der Praxis ist sie durch jahrhundertelange Erfahrung widerlegt.

Jetzt lassen sie sogar die Idee des Gleichgewichts fallen. Abschreckung heißt jetzt die Devise. Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist eine Politik des maßlosen Aufrüstens und damit eine Politik unfassbaren Drohens eingeleitet worden. Hat die heutige Außenministerin Anna-Lena Baerbock wohl irgend eine Art Gespür dafür, was es eigentlich bedeutet, wenn sie vollmundig erklärt, „die nukleare Abschreckung der NATO muss glaubhaft bleiben“? Und darüber sinniert, ob in einer „neuen Sicherheitsstrategie“ nicht auch Deutschland Zugriff auf die Bombe haben sollte. Strauß und Adenauer lassen grüßen.

Heute sind die Raketen erst mal weg. Ich will das jetzt nicht allzu sehr schönreden. Aber es gab ja immerhin die Idee von Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; die Jahrzehnte der Diplomatie und der Abrüstung. Mit dem Erfolg, dass diese Installationen des Kalten Kriegs abgezogen und unter internationaler Kontrolle verschrottet wurden. Womit das Problem allerdings keineswegs aus der Welt geschafft ist, sondern lediglich etwas im Umfang verringert. Denn in den letzten Jahren hat sich das wieder umgedreht; aus dem Prozess der Abrüstung ist eine Modernisierung der Arsenale geworden, die unter allen Beteiligten vorangetrieben worden ist. Das Potential für einen zigfachen overkill steht nach wie vor bereit.

Es besteht das Risiko des globalen nuklearen Schlagabtauschs der strategischen Systeme. Daneben gibt es seit Jahren das ständige Zündeln mit den taktischen Waffen, das auf der Illusion gründet, ein Atomkrieg ließe sich begrenzen, weil diese Dinger ja so klein sind. Und die aktuelle Situation in der Ukraine führt uns vor Augen, dass es noch eine dritte Ebene der Atomkriegsgefahr gibt. Damit meine ich die besonderen Gefahren, die von Atomkraftwerken ausgehen. Die sind zwar vielleicht nicht zu militärischen Zwecken errichtet worden, sondern zur Stromerzeugung. Wir erleben zur Zeit aber, wie sie in einer Kriegssituation durch ihre pure Existenz zur Waffe werden.

Das Stichwort Saporischija hört ihr ja im Moment jeden Tag in den Nachrichten. Netzschwankungen, Leitungsausfälle, Kühlprobleme, technische Pannen, Materialermüdung, Fehlbedienung, menschliche Unzulänglichkeiten: die Summe daraus ist im jedem Atomkraftwerk der Welt ein sehr reales Problem. Wenn obendrein militärische Belange eine Rolle spielen, werden die nicht geringer. Europas größtes Atomkraftwerk liegt etwa 50 Luftlinienkilometer südlich von der Stadt, nach der es benannt ist, am Südufer des Dnjepr. An dieser Stelle ist der Fluss 4 Kilometer breit und markiert zur Zeit die vorderste Frontlinie. Am Nordufer liegt gegenüber die Stadt Nikopol. Die ukrainische Armee bereitet sich unter anderem dort auf eine Gegenoffensive vor. Im riesigen Komplex der Atomanlage nahe dem Städtchen Energodar hat die russische Armee Geschütze installiert und beschießt von dort aus die Gegenseite. Die würde normalerweise, wie es militärisch üblich ist, das Gegenfeuer eröffnen. Und tut das wohl auch.

Natürlich muss das nicht schiefgehen. Natürlich besteht eine kleine Chance, dass daraus keine Katastrophe erwächst wie in Fukushima. Das hoffe ich. Aber wie kann in einer Situation, in der uns die Fragilität, die globale Verletzlichkeit durch Anlagen wie die in Saporischija derart eindringlich vor Augen geführt wird, wie kann in einer solchen Situation jemand den Weiter-betrieb der AKWs, oder das Wiederanfahren abgeschalteter AKWs oder gar einen Neubau von Atomkraftwerken auch nur in Erwägung ziehen? Es gibt viele andere Gründe, weshalb das nicht sinnvoll ist. Auch aus antimilitaristischer Sicht müssen wir deutlich sagen: das geht gar nicht.

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